Rückblich 13. Esslinger Ärztetag 2018

Rückblick auf den 13. Esslinger Ärztetag am 10. März 2018

Zum 13. Esslinger Ärztetag fanden sich 110 interessierte Kolleginnen und Kollegen sowie Laien im alten Esslinger Rathaus ein. Das übergeordnete Thema welches den Ärztetag seit 13 Jahren begleitet ist ,,die Kunst ein guter Arzt zu sein- in diesem Jahr Medizin bis zum letzten Atemzug“.

Nachdem der Vorsitzende der Kreisärzteschaft Dr. Rainer Graneis die Begrüßung abgeschlossen hatte, sprach Heinz Einiger, Landrat des Landkreises Esslingen und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Medius Klinik, Grußworte an die Interessierten. Er unterstrich das sehr gut funktionierende Netzwerk im Landkreis Esslingen der ambulanten und stationären Versorgung. Er betonte, dass wir nur gemeinsam im Verbund mit ambulanter und stationärer Arbeit am Patienten eine sehr gute Medizin im Landkreis umsetzen könnten.

Als Vertreter der Basis der Medizin in der hausärztlichen Versorgung sprach Dr. Andreas Glaser über die Bedeutung der hausärztlichen Jahre- oder Jahrzehntelangen Begleitung der Patienten. Am Beispiel einer final erkrankten Patientin erörterte  er die Wichtigkeit der vertrauten Arzt-Patienten Beziehung. Er hob die Herausarbeitung der noch verbleibenden Patientenwünsche im Rahmen der zeitlich begrenzten Lebenserwartung hervor. Angehörige wie Ehemann, Kinder, Freundinnen und Freunde sollten diesbezüglich integriert werden. Als fundamentales Ziel hob er den Erhalt der Lebensqualität hervor. Der Individuell natürlich sehr unterschiedlich interpretiert werden kann. Die Wichtigkeit der Patientenwünsche kombiniert mit dem medizinischen Notwendigen wurde hervorgehoben. ,,Frage deinen Patienten was er wirklich möchte“. Dr. Glaser verstehe sich und seine Kolleginnen und Kollegen der hausärztlichen Allgemeinmedizin als Weichensteller in der menschlichen und ärztlichen Betreuung und nicht als Holzweg.

Frau Dr. Silke Helmich unterstrich als Fachärztin für Innere Medizin und Pulmonologie ebenfalls die Notwendigkeit des Erhalts der Lebensqualität. Allerdings betonte sie, dass der fachärztliche Patientenkontakt mit sterbenskranken Patienten häufig geringer wäre als der, der betreuenden Hausärzte. Sie erörterte die Möglichkeit eines Therapieversuchs, z.B. mit einer assistierten Beatmung bei schwerster COPD, der bei entsprechender Verbesserung des Allgemeinbefindens dann fortgeführt und im Falle einer nicht eintretenden Verbesserung auch abgebrochen werden könnte. Auch Nachteile der Therapie müssten mit den Patienten besprochen werden. Alter an sich wäre kein Grund eine Therapie nicht durchzuführen.

Dr. Guido Marquardt kommissarischer Chefarzt der Klinik für Anästhesie des Klinikum Esslingen berichtete über die Angst der Patienten vor einer intensivierten Apparatemedizin der Intensivstationen und der Furcht der Patienten vor von Technik besessen Ärzten. Er diskutierte die Möglichkeiten der Intensivmedizin : einer Stabilisierung mit dem Ziel der Heilung oder  einer Lebensverlängerung, die allerdings nicht zu einer Verlängerung des Sterbevorgangs führen sollten. Er betonte die Notwendigkeit eine vorliegende Patientenverfügung zu prüfen und diese nochmals situationsbezogen mit dem Patienten, soweit möglich, zu erörtern. In jedem Falle ist zu diskutieren ob eine Therapie z.B. eine Dialyse, reversibel ist oder nicht. Er erörterte die Notwendigkeit eine Komfort -Therapie durchzuführen, insbesondere zur Linderung der Beschwerdesymptomatik der Patienten, auch wenn diese eventuell zu einer Verkürzung des Lebens führen könnte. Zusätzlich besprach er die Wichtigkeit Therapieziele auf der Intensivstation zu formulieren und diese ggf., etwa bei Nichteinhaltung, infrage zu stellen. Sind gewisse Ziele der Therapie in 72 Stunden erreichbar? Was sind die Wünsche des Patienten? Zusätzlich sollten die Grenzen der Sinnhaftigkeit der Intensivmedizin berücksichtigt werden. Dr. Marquardt berichtete dass nur 50% der berufstätigen Intensivpatienten nach 1 Jahr wieder in den Beruf zurückgekehrt wären. Eine langatmige Rehabilitation wäre häufig. Zusätzlich hob er hervor dass es zum jetzigen Zeitpunkt noch keine spezifische intensivmedizinische Rehabilitation gäbe und forderte diesbezüglich ein Umdenken.

Prof. Christian Herdeg, Chefarzt der Kardiologie der Mediusklinik in Ruit, berichtete, dass sich die Sterblichkeit an Kardiovaskulären Ereignissen  in den letzten 30 Jahren halbiert hätte.  Dies führte er zum Einen auf die sich fortentwickelnden diagnostischen und interventionellen Möglichkeiten zurück, insbesondere auf die Möglichkeiten, früher große Eingriffe mit hohem operativem Risiko jetzt minimalinvasiv durchzuführen. Als Fallbeispiel erörterte er eine Krankengeschichte einer Mitte  80-jährigen Patientin, die sich wiederholt bei kardio-pulmonalen Dekompensationen als Notfall im Krankenhaus einfinden musste. Die Ursache war eine hochgradige Aortenstenose. Sie bezeichnete jeden Atemzug als einen Schrei und hatte ständig Erstickungsängste. Bei ansonsten voll orientierter und sehr rüstiger Patientin entschied sich die Klinik und die Patientin im 90. Lebensjahr zur minimal invasiven Rekonstruktion der Aortenklappe im Sinne einer TAVI. Im Anschluss daran war die Patientin beschwerdefrei. Sie berichtete bis zum 96. Lebensjahr habe Sie eine sehr gute Lebensqualität ohne Atemnot gehabt. Die Patientin und ihre Angehörigen waren sehr dankbar über die gewonnen Lebensjahre in Beschwerdefreiheit. Das Alter an sich wäre auch hier kein Entscheidungskriterium, so Prof. Herdeg. Es müsste jeweils eine individuelle Therapieentscheidung getroffen werden. In einem zweiten Fall berichtete Professor Herdeg über einen 76-jährigen Patienten der nach einer TAVI ein hirnorganisches Psychosyndrom entwickelte und nach einem Sturz in die Psychiatrie eingewiesen werden musste. Er hatte die Lebensqualität verloren. Insgesamt betonte Professor Herdeg die Wichtigkeit der Arzt -Patienten Gespräche. Der technische Fortschritt würde nicht etwa dazu führen dass wir weniger, sondern dass wir mehr mit den Patienten besprechen müssten.

Prof. Ludgar Staib, Chefarzt der Allgemeinchirurgie des Klinikums Esslingen besprach die Sinnhaftigkeit von Prognosescores bei der Entscheidungshilfe von Therapieoptionen. Diese wären auf mathematischer Basis praktikabel, reproduzierbar und hätten mitunter eine hohe Vorhersagekraft mit bis zu 95% und mehr. Die postoperative Letalität könnte z.B. mit dem BIRLS -Score mit einer Trefferquote von 85-87% korrekt vorausgesagt werden. Insgesamt unterscheide sich die 30 Tage Letalität jedoch wesentlich von der Gesamtletalität. Die Folgen würden häufig erst poststationär auftreten. Komorbiditäten wie z.B.  eine demenzielle Erkrankung werden als zusätzlich limitierend betrachtet. Das Gehirn ist ein limitierender Faktor. Die Letalität postoperativ bei Demenz ist bis zu 50% erhöht, erklärte Professor Staib.

Der Festvortrag wurde von Prof. Dr. Dr. Urban Wiesing vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität in Tübingen gehalten. Er betonte die historische Bedeutung der Kunst ein guter Arzt zu sein in Bezug auf Wissenschaft, Kunst, Normengrenzen und Erfahrung der Ärzte. Er stellte die Selbstbestimmung des Patienten in den Vordergrund. Er betonte die zentrale Wichtigkeit, das Wohl und den Willen des Patienten in den Vordergrund zu stellen. Jeder Therapievorschlag müsse mit dem Patienten erörtert werden und bedarf dessen Zustimmung, soweit möglich. Er wies auf die Wichtigkeit von Patientenverfügung hin, die verbindlich wären. Willensänderungen im Rahmen eines Behandlungsverlaufes wären allerdings zu berücksichtigen. Er erörterte die Wichtigkeit des  Dialogischen Prinzips in der Kommunikation mit den Angehörigen: Was wäre der Wille des Erkrankten und eventuell aktuell nicht ansprechbaren Angehörigen gewesen. In dubio pro vita, wenn nichts bekannt wäre. Von zentraler Wichtigkeit wäre nicht was wir medizinisch leisten könnten, sondern was dem Patient nutzt und über den Nutzen entscheidet der Patient selbst, soweit ihm das möglich ist. Prof. Wiesing unterstrich die Tatsache, dass Handlungen in der Medizin immer irreversibel wären. Die Wirkungen  dieser Handlungen könnten allerdings teilweise rückgängig gemacht werden. Nicht aber der Tod. Neben den zentralen Faktoren wie Wohl und Wille betonte er, dass der Wille des Patienten über dem Wohl stehe.

Prof. Wiesing erörterte die Grundlage des ärztlichen Handelns nach bestem Wissen und Gewissen. Ist der medizinische Erfolg tatsächlich ein Nutzen für den Patienten. Ist eine Korrektur für den Patienten möglich. Wie lange behandeln wir kurrativ ? Ab wann beginnt die palliative Patientenbetreuung. Insgesamt unterstrich er die Notwendigkeit ärztliche Entscheidungen unter Berücksichtigung des Patientenwillens mit einer Inneren Haltung sensibel und gewissenhaft zu suchen und zu finden. Eine Vorhersage über deren Wirkung könnten wir allerdings nur unzureichend treffen.

PD Dr. Andrej Zeyfang, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Palliativmedizin der Mediusklinik in Ruit, stellte die Möglichkeiten der aktuellen Palliativmedizin vor. Auch hier wäre der individuelle Patientenwunsch entscheidend. Er berichtete über ein Fallbeispiel einer Patientin mit einem zerebral und hepatisch metastasierten Kolonkarzinom. Diese Patientin wollte auf eine Chemotherapie verzichten. Es erfolgte eine umfangreiche psycho- onkologische Betreuung der Patientin mit einer spezifischen Schmerztherapie über eine Schmerzpumpe zusätzlich eine therapeutische Behandlung der Angst- und Panikattacken im Zusammenhang mit dem nahenden Tod. Nach einer palliativen Betreuung der Patientin wurde die Patientin auf ihren eigenen Wunsch in ein Hospiz überwiesen in welchem sie nach eigenen Angaben in ihren letzten Lebenstagen menschliche Nähe spüren und erleben durfte. Wenn ein kuratives Vorgehen nicht mehr möglich ist, so stehen die Verbesserung der Lebensqualität und die Symptomkontrolle des Sterbens in Würde im Vordergrund. Die aktuelle palliativmedizinische Versorgung kooperiert mit der SAPV mit großem Erfolg. 2017 wurden 572 Fälle im Kreis Esslingen ambulant betreut in über 90% der Fälle war keine erneute Krankenhauseinweisung notwendig, so PD Dr. Zeyfang.

Michael Bergholt aus dem Psycho-onkologischen  Zentrum für integrative Onkologie und Palliativmedizin der Filder-Klinik, beschrieb weitere Möglichkeiten der Psychoonkologie neben der Symptomkontrolle. Insgesamt betonte die Wichtigkeit der Einbindung der Angehörigen um sich der Furcht vor der weiteren Entwicklung der Erkrankung und sich selbst begegnen zu können. Er betonte die Wichtigkeit der Würdigung des eigenen Lebens der Betroffenen. Auf zusätzliche Möglichkeiten für die Patientin mit Musik- oder Mal- Therapie wies er hin. Er unterstrich die Notwendigkeit jeden Sterbeprozess als einmalig zu betrachten und diesen auch jeweils entsprechend würdig zu begegnen.

Petra Vetter Fachanwältin für Medizinrecht betonte die Wichtigkeit des Art. 1 und 2 Grundgesetz wonach ärztliche Behandlung nur nach Einwilligung erfolgen darf. Der Arzt-Patientenvertrag entspricht einem Dienstvertrag ohne Garantie. Therapieziele sollten definiert werden, die Indikation sollte vorhanden sein, der Patientenwille muss nach einer Aufklärung erklärt werden, erst dann darf eine Behandlung durchgeführt werden. Die Willensäußerung des Patienten sollte schriftlich oder mündlich festgehalten werden. Zusätzlich ist jedoch noch die Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwunsches erforderlich, z.B. durch frühere Äußerungen des Patienten, sollte dieser zum Zeitpunkt der Behandlungsindikation nicht mehr ansprechbar sein. Es handelt sich hier um den voraus- verfügten Willen des Patienten der z.B. in einer Patientenverfügung festgehalten werden kann in dem der Behandlungswunsch des Patienten definiert werden kann. Bei nicht mehr ansprechbaren Patienten besteht die Frage nach einem offiziellen Betreuer oder einer Betreuungsvollmacht in der Familie. Auch hier gilt das Prinzip in dubio pro vita. Frau Vetter erörterte die Grenzen des ärztlichen Handelns unter Berücksichtigung des Patientenwillens. Wenn ein Patient Sterbehilfe verlangt wie kann sich der Arzt verhalten? Früher wurde von passiver Sterbehilfe gesprochen, wenn ein Arzt eine Sterbebegleitung ausführte jedoch nicht aktiv das Sterben verhinderte. Eine indirekte aktive Sterbehilfe wurde z.B. durch Schmerz-Therapie, z.B. im Rahmen einer Morphintherapie, diskutiert. Der ärztlich assistierte Suizid ist nach Paragraf 217 A des StGB strafbar. Die Beihilfe an sich, „das Reichen des Bechers“ ist nicht justiziabel, die Folge allerdings schon. Das Paradoxon liegt darin, dass der Arzt dem Patienten den Gift-Becher reichen darf, wenn dieser sich eigenwillig und bei vollem geistigen Verstande zur Aufnahme entscheidet, allerdings dann nach Aufnahme der potentiell tödlichen Dosis handeln müsste. Die Politik hat hier wieder einmal in der Gesetzgebung nicht differenziert genug gearbeitet. In diesem Zusammenhang liegt eine Revision beim Bundesgerichtshof, über die in den nächsten Monaten zu entscheiden sein wird.

Im Anschluss moderierte Dr. Marc  Meinikheim, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, die sehr rege und teils emotionale Abschlussdiskussion.  Er betonte die Pflicht des Arztes nicht nur heilen zu wollen, sondern auch den natürlichen Weg des Sterbens an der Seite des Patienten zu begleiten. Die Individuelle Entscheidung des Patienten stehe im Vordergrund und diese reiche von Symptomkontrolle, Linderung, menschlicher Begleitung über palliativmedizinischer Möglichkeiten bis hin zur Sterbehilfe. Dieser könnten sich natürlich Hausärzte verweigern, gegen deren Berufsethos dies spräche. Der Patient entscheidet- nicht der Arzt!

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